Psychosomatische Aspekte für „Alzheimer“

Ob ein Mensch im Alter die Orientierung oder gar sein Gedächtnis verliert, hängt nicht alleine mit Abbauprozessen im Gehirn zusammen, sondern mit den Lebensumständen und der Art wie Menschen mit Krisen umgehen. Zu diesem Ergebnis kamen Ende der 90-er unter anderem Prof. Dr. med. Joachim Bauer, Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut, Universitätsklinikum Freiburg, sowie Prof. Ulrich Kropiunigg, Psychologe, Universitätsklinik Wien. Beide stellten, bei ihren biographischen Untersuchungen von rund 100 Patienten mit der Diagnose Alzheimer,  übereinstimmend fest, dass sowohl bestimmte Persönlichkeitsmerkmale als auch bestimmte psycho-soziale Belastungen bereits vor dem Auftreten der ersten Anzeichen für Alzheimer vorgelegen haben; also nicht erst infolge der vermeintlichen Krankheit entstanden sind, wie nach vorherrschender Lehrmeinung angenommen wird. Diese Forschungsergebnisse decken sich mit ungezählten biographischen Erhebungen und Recherchen, die von Pflegekräften oder Sozialtherapeuten gemacht wurden. Bauer geht hier sogar noch einen wichtigen Schritt weiter, in dem er sich auf neurowissenschaftliche Studien bezieht, die einen Zusammenhang zwischen traumatischen sowie andauernden psychisch belastenden Zuständen und dem Abbau bestimmter Synapsen im Gehirn aufzeigen.

Demnach rückt diese letztlich nicht geklärte Krankheit in ein völlig neues Licht, welches die Theorien, von den rein organisch bedingten Ursachen, eigentlich ins Wanken bringen müsste; zumal, trotz jahrzehntelanger, weltweiter, milliardenschwerer Hirnforschungstätigkeit bis heute kein organischer Krankheitsauslöser gefunden werden konnte. Überdies erscheint die Darlegung psychobiologischer Mechanismen plausibeler als alles andere und bietet zudem klare Ansatzpunkte für Prävention oder gar Heilung.

Zwar sind auch bei zahlreichen anderen Erkrankungen psychosomatische Zusammenhänge bekannt, teilweise sogar schulmedizinisch anerkannt, jedoch die Vorstellung, Alzheimer gehöre ebenfalls in diese Kategorie, löst bisher noch großen Widerstand aus. Da der medizinische Fokus fast ausschließlich auf die Hirnmaterie gerichtet ist, warten die Betroffenen, wie überhaupt die Gesellschaft auf eine erlösende Mitteilung aus einem der vielen Alzheimerforschungslabors: das verantwortliche Gen oder ein anderes organisches Relikt sei gefunden worden. Noch am gleichen Tag würde sich eine solche Meldung über sämtliche Kanäle bis in den hintersten Winkel der führenden Nationen verbreiten. Denn darauf hat man gewartet, in diese Richtung wurde investiert. Außerdem wäre den meisten Kranken und Angehörige eine organische Ursache lieber als eine seelische. Wer würde nicht lieber ein Heilmittel in Tablettenform schlucken, würde es dieses geben, anstatt sich mit den krankmachenden Dingen im eigenen Leben zu befassen?

Lesen Sie hier den Vortrag von Prof. Joachim Bauer, sowie das Ergebnis der Untersuchung von Prof. Ulrich Kroppiunigg, Psychosoziale Risikofaktoren für die Alzheimer Krankheit, vorgestellt auf einer Tagung von AlzheimerEthik e.V. am 7. Februar 2003, im Düsseldorfer Landtag.  Da dieses Ergebnis die Erfahrungen der Initiatiorinnen der Veranstaltung, Renate Demski (Gründerin   des Vereins AlzheimerEthik, verstorben 2008) und Adelheid von Stösser (Vorsitzende des Pflege-Selbsthilfeverband), bestätigt, versuchten sie über eine diesem Schwerpunkt bewidmete Internetseite,  den psychosozialen Ansatz in den Blick zu rücken.  Diese seit Oktober 2016 veröffentlichte Seite, demenzrisiko.de, löst die ursprüngliche, alzheimer-alternativ-therapie.de ab, die bis 2013 im Netz verfügbar war.  Im Mai 2003 veröffentlichte die Zeitschrift raum&zeit folgenden Beitrag der Pflegefachfrau, Adelheid von Stösser: Wenn der Geist sich zurückzieht, der die Ergebnisse von Bauer und Kroppiunig mit ihren eigenen Betrachtungen in einer allgemeinverständlichen Weise verknüpft.

Inzwischen sind 12 Jahre vergangen in denen sich Joachim Bauer als Autor mehrerer Sachbücher/Bestseller einen Namen gemacht hat. In Das Gedächtnis des Körpers, erklärt Bauer wie Beziehungen und Lebensstile die Gene steuern. Übertragen auf die Entwicklung und Behandlung der vermeindlichen Alzheimer-Demenz, lässt sich aus diesem, wie seinen weiteren Büchern folgern, dass am Anfang immer eine seelische Belastung steht, mit mehr oder weniger gravierenden Einwirkungen auf das neuronale Netzwerk.

Einfluss seelischer Belastungen auf die Datenverarbeitung im Gehirn

Befindet sich ein Mensch in einer Lage, die ihm unerträglich ist und aus der er keinen Ausweg sieht, kann dieser Stress im Gehirn  Selbstschutzmechanismen in Gang setzen. Vergleichbar mit Sicherungen in elektrischen Anlagen,  die bei Überspannung herausspringen und so verhindern das alle Leitungen verschmoren, verfügt auch das Nervensystem über ein  Sicherungssystem. Bildgebende Verfahren haben längst den Beweis erbracht, dass die Synapsenaktivität in bestimmten Hirnregionen  von Gelb auf Rot wechselt, sobald sich das untersuchte  Tier oder der Mensch einer als bedrohlich erlebten Situation ausgesetzt sieht.  Viele Tiere reagieren außerdem mit Schockstarre in Situationen in denen weglaufen aussichtslos erscheint. Reflexartig stellen sie sich tod.  Menschen, die in existenzielle Not geraten, können ebenfalls total blockiert reagieren, abhängig von dem Ereignis und der Persönlichkeit.  Als beispielsweise 1984 in der Nähe des Linzer Krankenhauses, ein Militärflugzeug abstürzte und ein Mehrfamilienhaus in Flammen stand, gab es eine so gewaltige Erschütterung und Knall, dass Zeugen wie erstarrt dagestanden sind und es einige Zeit dauerte, bis die ersten (zu denen ich gehörte) zu einer sinnvollen Handlung in der Lage waren.   Noch heute sehe ich Frau D (Mitte 50, Verwaltungsangestellte), wie sie in den weit verstreuten Trümmern nach Habseligkeiten aus ihrer zerstörten Wohnung suchte.  Wie in Trance stocherte die arme Frau mit ihrem Regenschirm, bei strömendem Regen, in den Trümmern herum.  Bis auf die Kleider am Leib, war ihr nichts mehr geblieben. Dabei hatte sie noch Glück, dass sie selbst in ihrem Büro saß, als das Flugzeug ins Haus stürzte. Die Besitzerin eines Kiosk im Erdgeschoss, hatte das Inferno nicht überlebt. Noch Wochen später war  Frau D wie verstockt. Unfähig zur Arbeit zu gehen oder einen klaren Gedanken zu fassen.  Mit Hilfe von Angehörigen und psychologischer Unterstützung fand sie zwar irgendwann wieder in den normalen Alltag zurück.  Ganz überwunden hat sie dieses Trauma wohl nicht, wie ich später erfuhr. Sie litt an Depressionen und  habe sich nach ihrer Berentung völlig zurückgezogen.

Es ist allgemein bekannt, dass bedrohliche Ereignisse, Gewalterfahrung, Unfälle, Katastrophen, Kriege  etc. einen Menschen aus der Bahn werfen können.  Je furchtbarer das Erlebte, desto stärker die Auswirkungen auf die Verarbeitungszentrale im Gehirn, bis hin zur kompletten Amnesie (Erinnerungslosigkeit)  an das Ereignis oder gar das Leben vor dem Ereignis.  Wie wir aus der Traumatologie wissen, kommt die Erinnerung in vielen Fällen wieder zurück. Jedoch auch, wenn die Erinnerung nicht zurückkommt, sind die Daten nicht gelöscht.  Lediglich ist der bewusste Zugriff darauf versperrt.  Oft kommen diese in Erinnerungsfetzen zurück, wie Puzzelteile eines Bildes. Viele werden von Erinnerungsfragmenten aus dem Schlaf gerissen.    Vor allem in Zeiten, in denen sich der Betreffende nicht durch andere Beschäftigungen ablenken kann oder eine  erneute Verunsicherung seiner Lebenssituation erfährt, dringt verdrängtes an die Oberfläche.  So kann zum Beispiel ein an sich harmloser Beinbruch, eine Frau, wenn sie alt ist und auf sich gestellt, völlig aus dem Tritt bringen.   Auf einmal ist sie wieder da, die Erinnerung an das schutzlos Ausgeliefertsein – die sie als Kind erlebt hat.  An eine schwere Gewalterfahrung während der Kriegsereignisse.  Fünfzig Jahre und länger konnte die Kriegstraumatisierte unauffällig durchs Leben gehen. Tatkräftig hat sie geholfen  die sichtbaren Trümmer, die der letzte Krieg in unserem Land hinterließ, aufzuräumen.  Die unsichtbaren Wunden auf der Seele, damit musste jeder irgendwie selber klar kommen.  Psychologische Betreuung, wie sie heute Angehörigen von Unfallopfern und Verbrechen zugestanden wird, kannten unsere Eltern und Großeltern nicht.  Viele hatten ähnliches durchgemacht. Wem nützte es da sich gegenseitig die Ohren voll zu jammern.  Also konzentrierten sich alle auf den Wiederaufbau.  Arbeit und Ablenkung war zugleich Therapie, die sicherlich in sehr vielen Fällen zur Heilung oder  Vernarbung alter Wunden beigetragen hat.  Viele konnten diese Krise als Chance nutzen. Andere blieben zeitlebens blockiert und leiden unbewusst bis heute daran.  Bei diesen ist die Gefahr groß, dass die alte Wunde, das Trauma,  aufbricht, wenn der Betreffende mit Bildern oder Ereignissen konfrontiert wird, die daran rühren.

Ein solcher Aufbruch, Fachleute sprechen hier von Retraumatisierung,  äußert sich häufig in einer unverhältnismäßig heftigen Reaktion, einer Panikattake für die es scheinbar keinen Grund gibt.  Nicht selten einhergehend mit Wahnvorstellungen und immer einhergehend mit extremer Angst.  Bei plötzlich auftretender extremer Angst, Verfolgungswahn o.ä., ohne dass ein direkter Grund sichtbar ist, sollte zu erst einmal an eine Retraumatisierung gedacht werden.  Stattdessen rechnet die Medizin solche Symptome der Alzheimerkrankheit zu. Ärzte und Pflegekräfte wissen sich in solchen Situationen bisher keinen anderen Rat, als den Betreffenden mediamentös zu beruhigen.  Leider bleibt es selten bei der Beruhigung im Akutstadium. In der Regel führt das heutige Unverständnis geradewegs in die Alzheimerfalle.  Dabei ließe sich der Aufbruch einer alten Wunde durch relativ einfache Mittel verhindern oder  durch stablisierende Maßnahmen abfangen.    Ein Phänomen, dass aus der  Traumaforschung  seit langem bekannt ist, jedoch erst seit vielleicht 15 Jahren in Zusammenhang mit der Alzheimer-Demenz gebracht wird. Wissenschaftler, die der Frage nach dem extremen Anstieg dieser Demenz nachgegangen sind, verweisen auf die Kriegsgeneration, darauf, dass die alten Menschen die heute betroffen sind fast alle als Kinder und Jugendliche, existenziellen Bedrohungen durch die Nazis oder den zweiten Weltkrieg ausgesetzt waren.   Ein Thema, mit dem sich vor allem  Prof. Hartmut Radebold beschäftig hat.  Lesen Sie hier seinen Beitrag: Endlich über Kriegserlebnisse sprechen.

Auf den Zusammenhang von traumatischen Erfahrungen in der Vorgeschichte alter Menschen mit Demenz, geht der Beitrag vom Trauma zur Demenz  genauer ein.

Bei plötzlichen Ereignissen oder wenn alte Wunden aufbrechen, reagiert das Nervensystem meist mit einer sofortigen Blockade.  „Die Tür“ zum Speicher dieser Wahrnehmung wird verschlossen. Bewusst kann sich der Mensch dann nicht mehr an das Vorkommnis erinnern.  Je nach dem wie heftig der Angriff auf das „Selbst“ war, können auch andere Speicher blockiert sein. Im schlimsten Falle wird die komplette bewusste Erinnerung an alle Personen und Begebenheiten vor diesem Ereignis vergessen.  Von der Blockade nicht betroffen sind hingegen oftmals die in der Schule oder Studium erworbenen kognitiven Fähigkeiten, da es sich hier wohl um unterschiedliche Speichersysteme  handelt.  Das erklärt, warum Menschen mit einer traumabedingten Amnesie häufig noch genauso rechnen, lesen und schreiben können, wie vorher.

Rückwärzentwicklung – Rückfall – Regression

Länger fortbestehende unerträgliche Situationen führen hingegen eher zu einer allmählichen Rückwärzentwicklung, für die die Psychologie den Begriff Regression kennt.  Das Symptombild, wie es derzeit der Alzheimer-Demenz  zugeschrieben wird, ist im Grunde identisch mit dem Verlaufsmuster der Regression.  Dieses Zurückfallen auf eine frühere Stufe seiner Entwicklung, kann sich über einen unterschiedlich langen Zeitraum hinziehen.  Manchmal geht das ganz schnell,  binnen weniger Wochen nach dem ein alter Mensch realisiert, dass er wohl nie mehr nach Hause kann und seine hilflose Lage nicht akzeptieren kann.  Jüngeren Menschen, nach Unfällen oder bei schwerer Krankheit, kann das auch passieren.  Da diese jedoch in der Regel viel mehr Unterstützung erhalten, durch Fachleute und Angehörige, kann ein Rückfallen in eine kindliche Entwicklungsstufe meist verhindert werden.  Bei alten Menschen könnte dies grundsätzlich auch verhindert werden.  Dazu müssten Ärzte und Pflegekräfte jedoch die Gefahrensignale erkennen und eine Notwendigkeit sehen, dem Rückfall  entgegen zu wirken.

Das Phänomen der Regression ist zwar in fast jedem Lehrbuch beschrieben, jedoch losgelöst von der Diagnose Alzheimer-Demenz und ohne Handlungsempfehlung.  Der von mir, Adelheid von Stösser, 1996 veröffentlichte Pflegestandard  Regression- plus Kommentar, ist der einsame Versuch, der Regression einen Stellenwert in der Pflegepraxis einzuräumen.  Auch nach 20 Jahren ist dieser Standard reine Wunschvorstellung – Zukunftsmusik.
Nicht zuletzt deshalb, weil die Alzheimerforschung  gezielt an solchen Ursachen vorbeiforscht und kein Zusammenhang gesehen wird.

Dabei braucht es keiner Untersuchung um eine beginnende Rückentwicklung alias Alzheimer-Demenz bei Patienten oder Bewohnern beoachten zu können.   Die Signale sind  offensichtlich.   Wenn beispielsweise  ein  hilfebedürftiger alter Mensch, der zu Beginn großen Wert darauf gelegt hat niemandem zu Last zu fallen, anfängt für jede Handreichung zu klingeln und mehr und mehr die Rolle eines Kindes annimmt.  Da reicht bei alten Menschen mitunter ein einziger Krankenhausaufenthalt um diesen vom Erwachsenen-Ich auf die Stufe eines hilflosen Kindes zurückfallen zu lassen. Eine Entwicklungstufe in der es normal ist, sich von anderen pflegen und bevormunden zu lassen.   Prof. Bauer, der sich ebenfalls mit dem Phänomen der Rückwärzentwicklung im Zusammenhang mit Demenz befasst hatte, verweist auf eine sehr interessane Untersuchung.

Eine im Jahre 1996 von einer amerikanischen Arbeitsgruppe um Matteson und Lichtenstein durchgeführte Untersuchung an Alzheimer-Patienten ergab, dass die intellektuellen Beeinträchtigungen bei der Alzheimer-Krankheit exakt entlang den von Piaget definierten Stufen der intellektuellen Entwicklung des Kindes verlaufen, allerdings in umgekehrter Richtung (Matteson, 1996). Bei über 50 Demenzpatienten wurde mit dem Mini- Mental- State- Test einerseits die Schwere der Demenz bestimmt, andererseits wurden die gleichen Patienten mit Testinventaren untersucht, mit welchen sich die Entwicklungsstufen nach Piaget bestimmen lassen.
Alzheimer-Patienten mit beginnender Demenz entsprechend einem Mini-Mental- State- Wert von 23 Punkten zeigen testpsychologisch einen Verlust der Fähigkeit für hypothetische Strategien und für abstrakte gedankliche Operationen, wie sie für das nach dem 12. Lebensjahr erreichte Entwicklungsniveau für formale Operationen charakteristisch ist. Die Kompetenz solcher Alzheimer-Patienten im Frühstadium entspricht dem Niveau für konkrete Operationen, welches Piaget für die Phase zwischen 7. und 12. Lebensjahr beschrieben hat. Ab einem Mini- Mental- State- Testwert von etwa 14 Punkten und weniger, also im mittleren Stadium der Demenz, entspricht die intellektuelle Kompetenz von Alzheimer-Patienten der sogenannten präoperationalen Phase, die Piaget zwischen dem 2. und 7. Lebensjahr ansiedelt. Bei einem Mini- Mental- State- Wert von 2 Punkten und weniger haben die Patienten das sogenannte sensomotorische Anpassungsniveau der ersten beiden Lebensjahre erreicht.   ( Quelle: psychotherapie-prof-bauer.de )

Wenn wir von „Alzheimer“ in der vollen Ausprägung sprechen, also von alten Menschen die ihr gesamtes Leben bewusst nicht mehr erinnern können, die ihre Kinder und ihren Ehepartner nicht mehr erkennen, geschweige denn, dass Sie wüssten wo sie sich befinden und welches Jahr wir haben, dann sehen wir Menschen, die sich zurückentwickelt haben (regrediert sind). Würde der hier andeutungsweise beschriebene, psychosomatische Prozess, von der Medizin als Ursache für derartige Symptombilder anerkannt, könnte diese Rückwärzentwicklung mit relativ einfachen Maßnahmen verhindert oder gestoppt werden. So wie man heute vieles daran setzt, Patienten vor einer Infektion mit multiresistenten Keimen zu schützen, werden Kliniken, Ärzte und Pflegedienste hoffentlich bald die Gefahr der Regression mindestens ebenso wichtig nehmen.  Regressionen, und bei der sogenannten Alzheimerdemenz handelt es sich unbestritten um eine mehr oder weniger rasch verlaufende Rückentwicklung von Fähigkeiten, verursachen einen nicht minder großen Schaden.

Personen mit besonderem Gefährdungspotential

Menschen die rasch aus der Haut fahren, sich überall einmischen, alles unter Kontrolle behalten wollen und nicht abschalten können, gelten als Herzinfakt gefährdet.  Hingegen zählen Personen die „Alzheimer“  bekommen,  eher zu den angepassten Mitmenschen.  Sie suchen Harmonie und meiden Streitereien oder kritische  Auseinandersetzungen.  Prof. Bauer fasst das Ergebnis diesbezüglicher Untersuchungen wie folgt zusammen:

Die später Erkrankten wurden als Persönlichkeiten beschrieben, denen eine fröhlich-harmonische Atmosphäre sehr wichtig gewesen sei. Offene Konflikte seien von den später Erkrankten als angstauslösend, depressionserzeugend und verwirrend erlebt worden. Nachgiebigkeit sowie Verleugnungs- und Besänftigungsstrategien scheinen für die später Erkrankten einen absoluten Vorrang vor einer Herbeiführung einer Klärung beim Vorliegen von Meinungsverschiedenheiten gehabt zu haben. Dominanz und Führung durch die Partner einerseits, Anpassung und Selbstverleugnung der später Erkrankten andererseits wurde in vielen Biografien als derart ausgeprägt beschrieben, dass sich der Eindruck ergab, die Partner seien für viele der später Erkrankten zu Selbstobjekten, also zu externen Trägern des eigenen Selbstgefühls und der eigenen Vollkommenheit geworden (Bauer, 1994 b). In Übereinstimmung mit dieser Annahme fand Kropiunigg aus Wien Hinweise auf ein, wie er es nannte, „ephemer- fragiles Selbst“ in der prämorbiden Persönlichkeit seiner 50 untersuchten Alzheimer-Patienten (Kropiunigg, 1999).

Zusammenfassend sprechen die Ergebnisse der Studien verschiedener Arbeitsgruppen, die Befunde unserer eigenen biografischen Untersuchungen und die Beobachtungen aus den durchgeführten Behandlungen von Patienten dafür, dass später an Alzheimer erkrankte Personen bereits früh im Leben in ihrer seelischen (Selbst-) Entwicklung geschwächt wurden. Die Selbstidentität konnte sich nur schwach entwickeln, es entwickelte sich eine Tendenz zur Überanpassung. Es konnte kein markantes Gefühl der eigenen Identität entstehen.Die Patienten sind hinsichtlich ihrer autonomen Problemlösungskompetenz und ihrer Fähigkeit zur Selbstbestimmung beeinträchtigt. Neurobiologisch scheint dies mit einer Schwächung der synaptischen Vernetzung im Kortex und schließlich mit dem Eintritt in die Krankheit einherzugehen.

Die später Erkrankten entwickeln einen durch Konfliktvermeidung, durch Delegation schwieriger Entscheidungen an Andere und durch psychosoziale Inaktivität charakterisierten Lebensstil. Möglicherweise als Kompensation suchen sie sich pragmatisch hochkompetente Partner, von denen sie jedoch zunehmend abhängig werden. Schwere Störungen der Kommunikation und aufbrechende Konflikte im späteren Verlauf der Beziehung führen zu einem Zusammenbruch des bis dahin kompensierten Zustandes, zur Resignation, zur Regression und zum Einsetzen der Demenzerkrankung.

Bei genauerer Betrachtung ließe sich in wohl jedem Falle eine der folgenden Auslösefaktoren in Kombination mit den erwähnten Persönlichkeitsmerkmalen finden:

  1. Zusammenbruch dessen was dem Leben bisher Sinn und Halt gab, wie der  Tod des Ehepartners, Krankheit, Tod oder Wegzug eines Kindes oder anderer wichtiger Menschen im Leben.
  2. Wegfall und Fehlen einer Aufgabe, die dem Leben Sinn und Struktur geben. Wenn z.B. keine passende Beschäftigung gefunden wird, die den Ruhestand ausfüllt.
  3. Fehlende Wertschätzung, Entwertung der Person und Leistung. Wenn jemand z.B. erfährt, dass seine Nachfolger im Betrieb alles ausrangieren, was er aufgebaut hat.
  4. Festgefahrene Situation die als unerträglich empfunden wird. Wenn z.B. alte Ehepaare sich gegenseitig nur noch auf die Nerven gehen  und ein Partner dem anderen die eigene Unzufriedenheit  vorwirft und diesen dominiert, bleibt demjenigen, der sich dominieren lässt, oft kein anderer Ausweg als der Lage zu entfliehen, indem er vergisst.
  5. Drohender Verlust des öffentlichen Ansehen. Dies betrifft z.B. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens  wie Walter Jens, dessen Demenz fast zeitgleich mit dem Bekanntwerden seiner Verbindungen zu den Nazis offenkundig wurde.
  6. Einsamkeit und fehlende Ansprache. Wenn alte Menschen nicht mehr ihre Wohnung verlassen wollen, sich zurückziehen,  ist das immer ein Alarmsignal.
  7. Hilfeabhängigkeit und Ausgeliefertsein in einer hilflosen Lage,  im Zusammenhang mit Krankheit und Behinderung
  8. Sorgen um die wirtschaftliche Existenz oder Abhängigkeit von  der Gunst anderer, wenn z.B. ein Hauseigentümer rücksichtslos alte Menschen aus ihren Wohnungen vertreiben will.
    In jedem Falle handelt es sich um Umstände, die von den Betreffenen in höchstem Maße als bedrohlich oder unerträglich empfunden werden und für die derjenige keinen Ausweg sieht.

Wenn auch hier im Einzelnen noch Untersuchungsbedarf besteht, soviel steht fest:

Demenz ist kein Schicksal, das zufällig einen bestimmten Prozentsatz der Alten befällt und andere verschont!

1 Kommentar

  1. Leider liegt die Ursache immer noch im Dunkeln. Auch die immer wieder angepriesene Biografiearbeit ist meiner Erfahrung kein Heilmittel. Denn: Beruflich und auch privat habe ich festgestellt, dass die meisten Erkrankten, spätestens ab dem mittleren Stadium jegliches Interesse und Vermögen Altbekanntes anzuwenden verloren haben. Diese „Krankheit“ ist fürchterlich belastend, auch für Angehörige. Das Schlimmste: In der Praxis werden die Erkrankten immer noch ruhig gestellt, weil sie zu viel Unruhe und Arbeit verursachen, die das Personal nicht leisten kann. Neuroepileptika werden ohne jedes Bedenken in allen Heimen bei fast allen Erkrankten hemmungslos verabreicht. Und immer wieder erlebe ich Versteifung der Bewegungsabläufe, Benommenheit und tötliche Gehirnkrämpfe. Diese Medikamente beruhigen zwar, aber verkürzen das Leben und die Lebensqualität, weil sie abstumpfen. Ein Millardenmarkt auf Kosten der Erkrankten, denen so nicht zu helfen ist. Sinnlose Belastung der Krankenkassen die brav zahlen… Und was haben junge Behinderte Erwachsene in Altenheimen zu suchen? keine geeigneten Therapien, umgeben von Alten mit denen sie nichts anfangen können, verpasste Chancen auf altersgerechte Angebote. Langeweile, irgendwie die Zeit totschlagen. Gefangen im Mief von Urin umd Stuhlgang, der über die Flure wabert… die ‚Einsernoten sind Fassade, nur die wenigsten Heime verdienen diese Note. Ein sauberer Hintern und voller Bauch reichen nicht aus….und leider sieht es in vielen Heimen genauso aus, trotz der schönen Räume. Dazu Betreuungskräfte die man rausschmeißen sollte, da sie vollkommen ungeeignet sind. Großes Heim, Diakonie ca.120 Bewohner Aussage einer gereizten Betreuungskraft: wie ißt du denn, wie ein Schwein …

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