Noch gut erinnere ich mich an den Anruf von Frau O. die sehr unter den dementiellen Veränderungen ihres Mannes gelitten hatte. Die letzten Jahre verbrachte er in einen Trancezustand. Frau O. wusste nicht, ob er sie überhaupt noch wahrnimmt. „Stellen Sie sich vor, mein Mann hat kurz vor seinem Tod plötzlich ganz normal gesprochen. Er hat Danke gesagt und Entschuldigung. ….. Ich dachte ich höre nicht gut. Aber er war plötzlich wieder ganz normal. Auch sein Gesichtsausdruck. —- Eine Stunde später ist er dann friedlich eingeschlafen.“ Angesichts der Vorgeschichte kann niemand eine logische Erklärung für diese Reaktion finden. Allen, denen Frau O. das erzählte, schüttelten ungläubig den Kopf. Da ich ähnliche Berichte schon häufiger gehört habe und ich diese Angehörige über Jahre begleitet und als bodenständigen Menschen erlebt hatte, glaubte ich ihr. Eine Erklärung konnte ich allerdings auch nicht geben. Vielmehr sehe ich derartige Reaktionen, als Beweis dafür, dass es zwischen Himmel und Erde noch vieles gibt, von dem wir bestenfalls eine Ahnung haben.
Da derartige Reaktionen weltweit beobachtet werden, gibt es sogar einen Fachbegriff dafür: Terminale Luzidität. Wer diese Bezeichnung wählte, versteht das Phänomen anscheinend als eine Art „Besessenheit“, hinter der nur der Teufel stecken kann. Die Inhalte und das Erleben von Angehörigen, Pflegenden und Ärzten, lässt jedoch eher vermuten, dass hier ein guter Geist, eine Botschaft vermitteln möchte.
„Für die Familienmitglieder können diese kurzen Episoden der Klarheit ein wunderbares Geschenk sein. Sie ermöglichen dem Kranken, sich zu verabschieden. Auch kann er wieder Kontakt zu seiner Familie und seinen Freunden aufnehmen, seine letzten Wünsche mitteilen sowie um Vergebung bitten oder selbst vergeben. Für Angehörige von Patienten mit schwerer Demenz, die vielleicht viele Jahre lang keine Kommunikation mit ihnen hatten, kann dies eine sehr heilsame Erfahrung und eine schöne Art des Abschieds sein. „
Mehr dazu in diesem Beitrag von Emma Suttie: Unerklärliches Phänomen: Rückkehr der geistigen Schärfe bei Demenzkranken kurz vor ihrem Tod.
Das Foto im Titel schickte mir Frau O., nachdem sie vom Heim angerufen worden war, weil ihr Mann in einem Anfall sein Zimmer ververwüstet hatte. Zu dieser Zeit war Frau O. mit ihrer Kraft am Ende. Sieben Jahre hatte sie alles ihr mögliche versucht, ihren Mann zu Hause zu betreuen. Als das losging mit den Schreiattacken, die sie auch den geduldigen Nachbarn, sie wohnten in einer Eigentumswohnung eines Mehrparteienhauses, nicht länger zumuten konnte, stimmte sie einer medikamentösen Ruhigstellung und stationären Pflege zu. Seine letzten 3 Lebensjahre verbrachte Herr O. in einer Art Trancezustand. Ab und an gab er Laute von sich oder zeigte Abwehrreaktionen bei verschiedenen Pflegeverrichtungen. Frau O. besuchte ihn täglich und übernahm auch die Grundpflege, da sie am besten wusste, wie sie ihn anfassen und ansprechen kann, ohne heftige Abwehrreaktionen auszulösen. Als er dann erneut mit einer Lungenentzündung in der Klinik lag, habe er sie auf einmal angesehen, so wie früher, und Danke gesagt, und Entschuldigung. Gleich darauf habe er jedoch die Augen für immer geschlossen.
Im Gespäch mit Frau O. meinte diese: „Mich hat diese kurze Reaktion sehr aufgewühlt. Die ganz Last all der Jahre, war wie weggeblasen. Ich kann das kaum beschreiben.“ Ob ihr Mann das selbst gesagt hat oder eine göttliche Macht ihn das hat sprechen lassen, sei dahingestellt. Was zählt ist alleine das Egebnis: Die wunderbare Erleichterung, die dieses kurze Aufklaren bei Frau O. ausgelöst hat.
Adelheid von Stösser, am 28.06.2024
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