Retraumatisierung durch Kriegsberichterstattung   

Buchempfehlung: Sebastian Schoepp: "Seht zu wie ihr zurecht kommt."

Wer als alter Mensch die Corona-Bedrohung überstanden hat und noch klar bei Verstand ist, sieht sich derzeit an erlebtes Leid während des 2. Weltkriegs erinnert.  Zerstörte Städte und Menschen in Notunterkünften oder auf der Flucht.  Seit einem Jahr, in jeder Nachrichtensendung und ungezählten Sondersendungen, werden gerade bei den  Alten Erinnerungen an schlimme Zeiten geweckt.  Ob zu Hause oder im Heim, es ist vor allem die Kriegsgeneration, die einen Großteil des Tages vor dem Fernseher verbringt.  Nachts kommen dann verdrängte Bilder und die damit verbundenen Ängste wieder hoch.

In einem Telefonat, das ich gestern mit der Leiterin einer Tagespflegeeinrichtung  führte, kamen wir darauf zu sprechen.  „Was den Alten zugemutet wird, da macht sich keiner einen Begriff von.  Erst die Angst vor einem tödlichen Virus, Isolation und Vereinsamung. Und jetzt versetzt man sie in eine noch größere Angst.“, bemerkte sie.  Mit einer anderen Kollegin sprach ich kürzlich über die düstere Stimmung in der Altenpflege und die hohe Sterberate.  „Früher gelang es mir oft, den Bewohnern in unserem Heim im Vorbeigehen ein Lächeln zu entlocken.  Heute müssen wir uns da richtig anstrengen. Dabei trägt in unserem Heim kein Mitarbeiter eine Maske.  Wir haben diese Anordnung von Anfang abgelehnt  und das auch gegenüber den Ämtern begründet.“  Von einer bedrückenden bis gespenstischen Stimmung berichten regelmäßig auch Angehörige.  Die wenigen Bewohner, die in Gemeinschaftsräumen angetroffen werden, sitzen mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern da.  Ohne Lebensfreude und Energie harren sie der Dinge.  Selbst die Verwirrten, die man früher häufiger auf den Fluren antraf, die sich über ein „Hallo“ freuten, scheinen irgendwo verschwunden.   „Meine Mutter schaut nur noch Tierfilme oder lustige Sendungen.  Wenn die Nachrichten kommen, macht sie den Ton weg oder schaltet um.“,  erklärte eine Bekannte, als wir uns über die Kriegsbilder unterhielten.  Das Beste, was alte Menschen zu ihrem eigenen Schutz tun können:  Abschalten und Umschalten.

Als Nachkriegsgeborene kenne ich den Krieg nur von den Erzählungen der Großeltern, Eltern sowie der Patienten. Vor allem Männer, die an der Front gekämpft hatten, verspüren am Ende ihrer Tage das Bedürfnis, Rechenschaft abzulegen.  Sie bekommen bestimmte Bilder nicht aus dem Kopf.  Seien es die Kameraden, die neben ihnen gestorben sind oder die Männer auf der anderen Seite, die sie selbst erschossen haben.  Tausendmal haben sie sich andere Versionen ausgemalt. Was passiert wäre, wenn sie anders gehandelt hätten?   Ich erinnere mich noch an einen Patienten, der sehr unruhig war und immer wieder mit der Stationsschwester, einer Ordensschwester, sprechen wollte, so als hoffe er sich von dieser Absolution.  Er habe sich schon hundertmal entschuldigt bei Gott und den Menschen, die durch seine Hand gestorben sind. Oder den Kindern, denen er den Vater genommen hat. Er kenne sie nicht, aber er habe selbst zwei Brüder verloren und viel Leid erlebt. Ich war Schwesternschülerin, etwa 18 Jahre alt und kannte den Krieg nur aus Geschichtsbüchern und Erzählungen.  Dass mir dieser alte und etwas verwirrte Mann in Erinnerung blieb, liegt wohl an seiner eindringlichen Art wie er mit uns darüber gesprochen und einen angesehen hat.  Als sehe er in uns Pflegekräften Engel, die ihn von dieser Last befreien  können.  Es beruhigte ihn jeweils, wenn man ihm versprach, ein gutes Wort im  Himmel für ihn einlegen zu wollen.  Ich hatte damals noch nichts von Kriegstraumata gehört und dachte,es handele sich um einen Ausdruck der Verwirrung.

Jede Pflegekraft, die am Sterbebett von alten Männern gestanden hat, die in Schützengräben lagen oder an anderen Stellen – Stellung bezogen hatten, kennt ähnliche Situationen.   Schuldgefühle, die Jahrzehnte unterdrückt waren, brechen sich am Ende Bahn.  Manche suchen Absolution, andere wollen nur immer wieder hören, dass sie keine Schuld treffe. Im Krieg sei töten erlaubt und sie hätten ja nicht aus niederen Beweggründen getötet, sondern auf Befehl oder um nicht selbst getötet zu werden.

Für die Überlebenden der Bombenangriffe auf Dresden hat sich der 13. Februar  1945 ins Gedächtnis eingebrannt.  So machte gestern dieser Film im Netz die Runde:  https://t.me/Barbarossa_SMGI/2230

Mütter berichten, wie sie das Inferno erlebt und überlebt haben.  Bei diesem Bericht wird außerdem deutlich, dass auch an den Händen der Siegermächte das Blut zigtausender unschuldiger Menschen klebt.

Vielleicht müssen wir uns alle diese fürchterlichen Bilder anschauen, um begreifen zu können, warum sich Deutschland nicht erneut an irgendeinem Krieg beteiligen darf.
Tatsächlich erleben wir eine brandgefährliche Politik.  Eine Außenministerin,  die vor der Wahl mit dem Slogan geworben hat: Frieden schaffen ohne Waffen. Jetzt kann es ihr nicht schnell genug gehen,  deutsche Waffen gegen russische Soldaten in der Ukraine in Stellung zu bringen.  „Deutschland sei im Krieg gegen Russland“, erklärte sie im europäischen Parlament.

Die Alten werden ihr Kriegstrauma nicht los. Die Jungen könnten die nächsten sein, die in einem  Krieg umkommen oder traumatisiert daraus hervorgeht.

Adelheid von Stösser,  März 2023 

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Der Beitrag ist im März 2023  in „Der Gesundheitsberater“ GGB (Gesellschaft für Gesundheitsberatung), Brukerhaus, Lahnstein erschienen.

 

Buch-Beschreibung

Buchempfehlung: Sebastian Schoepp: „Seht zu wie ihr zurecht kommt.“

Die Sorge um die alt werdenden Eltern ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Familienstrukturen haben sich aufgelöst, das Leben in der globalisierten Welt fordert maximale Flexibilität und Mobilität. Die wenigsten von uns sind darauf vorbereitet, plötzlich für gebrechliche Menschen da sein zu müssen. Pflege reißt Lücken in unsere Lebensläufe und konfrontiert uns mit uns selbst. Dies umso mehr, wenn die Eltern den Zweiten Weltkrieg erlebt haben und in ihrer Seele unaufgearbeitete Traumata verbergen, die oft über Generationen nachwirken. Sebastian Schoepp macht sich auf eine Zeitreise ins Leben seiner Eltern, vom Russlandfeldzug bis ins Pflegeheim, und damit in die Vergangenheit Deutschlands. Je tiefer er dabei vordringt, desto stärker wird die Erkenntnis: Die Vergangenheit ist nicht tot, sie lebt in uns weiter.  – Buch bestellen

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