Heute war Mutter wieder total abgeschossen

IngeBS, Jahrgang 1948, Realschullehrerin, zwei Kinder, gerät nach der Trennung vom Ehemann in eine seelische Krise, die zunächst als Burnout gedeutet wird, später als Depression und zuletzt als Demenz. „Mutter hatte immer wieder Aussetzer, wirkte irgendwie schusselig.“, erklärt ihre Tochter, die Anfangsphase der Erkrankung: „Habe versucht ihr zu helfen, damit das in der Schule nicht so auffällt. Habe z.B. die Mathearbeiten ihrer Schüler korrigiert.“ 2004 wird sie unter Betreuung gestellt; wobei, wegen familiärer Streitereien und weil die Kinder mit Anfang zwanzig zu jung erschienen, ein Berufsbetreuer eingesetzt wird. Gegen den Willen der damals noch weitgehend selbstständigen IngeBS, veranlasst dieser ihre Unterbringung in einem Pflegeheim. Da sie nicht weiß, was sie dort soll und immer weg will, wird sie „medikamentös eingestellt“. Infolgedessen verschlechtert sich ihr Zustand binnen weniger Monate rapide. IngeBS, die sehr sportlich war und als Turniertänzerin stets Wert auf ihren Körper und eine gute Haltung gelegt hat, ist oft so wackelig, dass sie sich ohne Unterstützung kaum auf den Beinen halten kann. Wie Volltrunken wanke sie, das Sprechen fällt ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen noch schwerer. Reduziert man die Medikation, so dass wie wieder einigermaßen gehen kann, sucht sie sofort nach Wegen aus dem Heim heraus. Hilflos muss ihre Tochter die Not der Mutter mit ansehen. In ihren zahlreichen Mails beschreibt Dagmar die Entwicklung. Häufig beginnen diese mit: „Heute war Mutter wieder total abgeschossen. Hat kaum die Augen aufgekriegt, war nicht einmal in der Lage einen Schluck zu trinken.“

Aufschlussreich beschreibt ihre Tochter  am 16.02.2009, wie sie ihre Mutter erlebt hat, ihr Wesen, Familie, Ehe, Beruf, Sport etc.  Sie beschreibt das Hamsterrad, angetrieben von einem extremen Harmoniebedürfnis und Perfektionismus. Wie es zum Zusammenbruch kam. Und sie beschreibt ihre eigene Situation, ihre Bemühungen um die Mutter. Ihr Scheitern, ihre Ohnmacht gegenüber denen die sich eigentlich von Berufswegen um das Wohl ihrer Mutter kümmern sollten.  Die dafür bezahlt werden, als Ärzte, Pflegekräfte, Richter, Betreuer.  Ein einzigartiges Zeugnis,  diese E-Mail,  bei dem jeder medizinische Laie erkennen kann, warum diese Frau „Alzheimer“ bekam. IngeBS-Meine Mutter-Mail von Dagmar

Unsere Bemühungen scheiterten an der Haltung des Betreuungsrichters am Amtsgericht Neuss. Lesen Sie hier meine Schreiben an den zuständigen Richter: IngeBS-Betreuungsgericht

IngeBS, stirbt im Frühjahr 2011. Ihre Tochter Dagmar will, dass ihr Leidesweg gedruckt und veröffentlicht wird; damit ihre Mutter nicht ganz um sonst gelitten hat. Denn nur wer genau hinschaut, was hier alles falsch läuft und warum, erkennt die Dringlichkeit das zu ändern.

Obschon ich nur Zeuge dieses Geschehens war, hat mich die Erfahrung tief erschüttert. Nicht zuletzt mein Vertrauen in die Rechtschaffenheit von Gerichten und Richtern. Leider sollte es nicht das letzte Beispiel dieser Art bleiben.

Fazit: Gegen die Allianz von Ärzten und Pflegeheimen im Verbund mit Betreuungsgerichten, ist der Bürger machtlos. Wie dieses Beispiel und weitere zeigen, setzen Betreuungsrichter und Betreuer auf die Kompetenz von Ärzten und Pflegekräften. Besorgte Angehörige sind da lästig. Wie es dem Betreuten geht, interessiert nicht.

Hinweis: Das Foto entstand 2006.  Es liegen weitere und deutlichere Fotos vor, die wir jedoch aus Rücksicht auf die Tochter – die konfrontiert werden könnte – nicht veröffentlichen. Die Namen wurden ebenfalls anonymisiert.

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