„Horst“ erhält eine zweite Chance

Horst S war es gewohnt alleine klar zu kommen. Er hatte keine direkten Angehörigen, sondern fühlte sich verbunden mit den Nachbarn und den Leuten im Viertel in dem er mehr als 40 Jahre lebte.  Dort kannte man ihn, als freundlichen und geselligen Menschen, der z.B. kein Spiel seines Fussballvereins verpasste. Täglich drehte er seine Runden mit dem Fahrrad, grüßte jeden  dem er begegnete und freute sich über jedes: „Hallo Horst, alles klar bei dir?“ Eine Bekannte (frühere Nachbarin) erklärte: „Wissen Sie, der Horst ist so ein „ewiger Junggeselle“ – aber von der positiven Sorte.  Der war immer gut gelaunt, stets hilfsbereit. Nicht so ein Nörgelpitter mit dem keiner was zu tun haben will. Der ist komplett selbsständig und unabhängig. ….  Hat bis 65 Jahre bei der Firma …. gearbeite. Auch als Rentner hatte er sein eigenes Auskommen.  Er war immer ordentlich gekleidet,  kaufte ein, kochte sich jeden Tag sein Essen, wusch seine Sachen und putze.  Die Wohnung in dem Haus in dem er seit vielen Jahren wohnte (älteres Mietshaus, Mehrparteienhaus in einem Stadtteil von …..) war seine Burg, sein Reich.“

Im Sommer 2003 wird Horst S., im Alter von 68 Jahren, durch einen Schlaganfall binnen weniger Tage zum Betreuungsfall. Als die Betreuung eingerichtet wurde, befand er sich noch in der Klinik und stand unter dem Schock des Ereignisses, so dass er willenlos und entscheidungsunfähig alles über sich ergehen ließ. Die Betreuerin organisierte die Übersiedlung ins Heim und löste seine Wohnung auf.   Einige Monate später besuchte oben erwähnte Bekannte  „den Horst“,   zunächst nur aus Höflichkeit und später aus Mitleid angesichts der Situation die sie dort vorfand. Vor allem klagte er darüber, dass zu wenig Personal da sei um ihn regelmäßig   für einige Stunden am Tag aus dem Bett zu holen. Er müsse den Pflegekräften ständig auf die Nerven gehen, damit sie ihm aus dem Bett helfen. Wenn sie ihn dann rausgesetzt hätten, müsse er oft den ganzen Tag im Stuhl sitzen, weil keiner Zeit habe ihn wieder hinzulegen. Nach eindringlichen Gesprächen mit der Pflegedienstleiterin, konnte die Bekannte erwirken, dass Herr S täglich morgens und mittags für einige Stunden in einen alten Rollstuhl gesetzt und in den Aufenthaltsraum gefahren wird. In anderen Punkten verliefen ihre Bemühungen erfolglos, so dass sie sich an das zuständige  Amtsgericht   wandte.

Folgende Situation lag zu diesem Zeitpunkt vor:

Die Betreuerin behandelt ihn wie einen hoffnungslosen Pflegefall, um den sich das Heim kümmern soll. Nur ein Besuch – kurz nach dem Einzug ins Heim .   Sie verlässt sich vollständig auf das Heim und geht davon aus, dass man sich mit diesem Mann nicht absprechen kann, da er ja dement ist. Warum sollte sie ihn da besuchen? Er kenne sie nicht und versteht ihre Funktion nicht.

Das Heimpersonal registrierte zwar, dass Horst S wacher wurde und ganz klar sagen konnte, was er wollte, versuchte ihn jedoch weiterhin wie einen Fall der Pflegestufe III aussehen zu lassen.   Eine Förderung seiner Selbstständigkeit hätte eine niedriger Pflegestufe und weniger Einnahmen bedeutet.

Regelmäßig musste Horst S darum betteln, aus dem Bett geholt und in den Aufenthaltsraum gefahren zu werden. Denn da er keine Angehörigen hatte und die Betreuerin sich nicht sehen ließ, hatte das Personal keine Beschwerden zu befürchten.

Systematische Unterbindung der Selbstständigkeit:   Horst S erhält kein Taschengeld. Durch seine Bekannte erfuhr er, dass ihm dies zusteht. Ihr wurde gesagt, dass er nur zu den üblichen Zeiten zum Verwaltungsbüro kommen brauche, um sich Geld abzuholen. Als er dies dann beim nächsten Mal versuchte, wurde er abgewiesen – weil die Betreuerin keine Erlaubnis dazu erteilt hätte.

Host S besaß nur einen verschlissenen Jogging-Anzug- den er außerhalb des Bettes anziehen konnte. Niemand fühlte sich zuständig ihm passende Kleidung zu besorgen. Die Betreuerin hatte bei der Wohnungsauflösung seine Kleidung komplett weggegeben. Er besaß nichts mehr, aus seinem Leben vor dem Schlaganfall.

Das Heim und der Arzt verweigern dem 69 jährigen Schlaganfallbehinderten, das Recht auf einen Rollstuhl . In den anderthalb Jahren in denen Horst S im Heim lebte, wurde er ein einziges Mal von einem Pfleger in den „Garten“ gefahren.   Von der Bekannten darauf angesprochen, erklärte sein Arzt , dass ihm keine Anfrage der Betreuerin vorliege und die Kasse einen solchen Antrag sowie ablehnen würde.

Horst S hat auch sonst keine Unterhaltungsmöglichkeit in seinem Zimmer, welches er mit einem schwerkranken, bettlägerigen Mann teilen musste, der mit offenen Augen in eine Ecke starrte und sich ansonsten nur durch lautes Stöhnen äußert. Nicht einmal ein Radio besitzt er. Aus organisatorischen Gründen bringt das Personal ihn zwischen 18 und 19 Uhr ins Bett, wo er dann ebenfalls nur die Decke anstarren kann und hofft möglichst bald einzuschlafen, um das Stöhnen des neben ihm liegenden Mannes nicht länger anhören zu müssen.

Bevor die Bekannte auftauchte, die sich für ihn einsetzt, hatte sich Herr S aufgegeben, er sah keine Chance jemals aus dieser Situation herauszukommen und hatte Angst, wenn er zu viele Ansprüche stellt, dass es dann noch schlimmer wird.

Im Unterschied dazu, fühlte sich die Bekannte erst recht gefragt und gefordert, je größer die Widerstände waren, die ihr entgegen gesetzt wurden. Versprechungen seitens der Heimleitung, die nicht gehalten wurden, brachten sie auf die Palme. Sie suchte das Gespräch mit der Betreuerin, wurde beim Amtsgericht vorstellig, wandte sich an die BIVA und an mich, (der Pflege-shv war damals noch nicht gegründet, diese curragierte Frau gehört jedoch zu den Mitgliedern der ersten Stunde). Gemeinsam mir ihr habe ich Herrn S in seinem Heim besucht und mich mit eigenen Augen überzeugen können, dass dieser Mann wirklich fehl am Platze ist in diesem Heim. Gemeinsam haben wir Stellungnahmen und Schreiben aufgesetzt und so lange interveniert, bis die Betreuerin grünes Licht für den Wechsel in ein anderes Heim gab.

Habby End:  In dem neuen Heim, dass die Bekannte für „Horst“ ausgesucht hatte, bekam er nicht nur ein Einzelzimmer und einen funktionstüchtigen Rollstuhl, er fühle sich hier fast wie zu Hause, stellte diese bei ihren Besuchen fest.  Denn das Heim befindet sich in dem Stadtteil, wo er früher jeden Baum und Strauch kannte. Mit seinem Rollstuhl kann Horst in den Tierpark fahren oder zum Fussballplatz in der Nähe um sich ein Spiel anzuschauen.      Der Einsatz für ihn hat sich gelohnt. Die Betreuerin hätte sich und allen viel Frust und Mühe sparen können, wenn sie von sich aus festgestellt hätte, dass dieser Mann zu jung und zu aktiv ist, um den Rest seines Lebens in dem Gitterbett eines Zweibettzimmers eingesperrt zu sein.

Was zeigt uns dieser Fall? 

Warum haben sich nicht diejenigen für das Wohl von Horst S eingesezt, deren Aufgabe dies gewesen wäre?   Also in erster Linie die vom Amtsgericht bestellte Betreuerin und in zweiter Linie das das Pflegeheim,  dem dieser Hilfebedürftige anvertraut wurde. Und nicht zu vergessen der Arzt.  Auch dieser spielt eine erhebliche Rolle.  Denn hätte der Arzt die Betreuerin darauf hingewiesen, dass Horst S. sehr wohl in der Lage ist, seinen Willen zu bekunden und dass sich sein Zustand – gegenüber dem Anfangsstadium soweit gebessert hat, dass hier eine Neubewertung vorgenommen werden muss, hätte diese Betreuerin entsprechende Schritte in die Wege geleitet.  Da der Arzt jedoch gegenüber der Bekannten ganz klar zu erkennen gab, dass er diesen Mann abgeschrieben hatte, als totalen Pflegefall, der alleine nicht mehr vor die Tür kann, und die Betreuerin sich nicht selbst ein Bild von der Zustandsveränderung gemacht hat, sah niemand eine Veranlassung mehr zu tun, als die übliche Versorgung im Heim sicher zu stellen.

Betreuerin und Arzt verlassen sich auf das Heim.  Den meisten Heimen, dass muss man wissen, sind solche Bewohner am liebsten, über die sie nach eigenem Gutdünken verfügen können. Es ist allgemein bekannt, dass Bewohner die Angehörigen und Betreuer haben, die sich persönlich engagieren und regelmäßig nach dem Rechten schauen,  eher zu ihrem Recht kommen, als solche, die keinen Fürsprecher außerhalb der Einrichtung haben.  Bewohner, bei denen keine Beschwerde zu befürchten ist, werden in der Regel zu letzt versorgt. Wer außerdem die Diagnose Demenz hat, auch wenn es sich wie in diesem Falle nicht um Alzheimer, sondern eine vaskuläre Demenz handelt, kann sich beschweren wie und wo er will, seine Aussagen besitzen von vorne herein die geringere Glaubwürdigkeit.

Vorbildlich hier die Haltung der Bekannten. Eine Frau die weder verwandt war, noch fachlich und formale Kompetenzen hatte, erkannte die Notlage in die professionelle Fürsorge diesen Mann gebracht hatten und gefangen hielten.