Am 05. April war der AOK-Pflegereport 2017 Thema in den Nachrichten. In deutschen Pflegeheimen werden zuviele Psychopharmaka verabreicht, titulierte beispielsweise die Mitteldeutsche Zeitung das Ergebnis einer Untersuchung, durchgeführt unter Leitung der Pharmakologin Prof. Petra Thürmann. Erneut bestätigt eine Studie den massenhaften Einsatz von Psychodrogen, insbesondere Neuroleptika in Pflegeheimen. Deutlich stellt die Pharmakologin heraus, dass Neuroleptika zur kurzzeitigen Behandlung von Wahnvorstellungen gedacht sind, in den Heimen jedoch überwiegend langfristig zur Dämpfung von Verhaltensauffälligkeiten bei alten Menschen mit einer Demenzdiagnose eingesetzt werden. In einem Ländervergleich nimmt Deutschland dabei, neben Spanien und Estland, eine Spitzenposition ein. In Schweden werden die wenigsten Neuroleptika eingesetzt.
In der Ärztezeitung wird diese Meldung sehr treffend kommentiert:
Altenheim und Psychopharmaka: Dieses Problem lernte ich als deutscher Nervenarzt schon 1994 kennen, das Heim war damals schon nicht bereit zu einer ÄNDERUNG. Ich selbst hörte damals auf Heime zu betreuen. ÜBER den Qualitätsstandard der politischen Öffentlichkeit wundere ich mich deshalb schon lange nicht mehr. (Josef Schmitt)
Nichts Neues: Jeder, der die Materie ein wenig kennt, weiß, dass in Pflegeheimen Medikamente das ersetzen, was eigentlich gebraucht wird: Zuwendung und Zeit. Patienten werden „ruhig gestellt“, weil sie sonst den Betrieb stören und die überlasteten Pflegekräfte stehen den Wünschen der Patienten hilflos gegenüber. (Rudolf Hege)
Möglicherweise war es unsere Forderung, Neuroleptika in den Giftschrank zu verbannen, die zu dieser erneuten Untersuchung Anlass gab. Jedenfalls setzt sich der Pflege-Selbsthilfeverband e.V. wie kein anderer Verein seit Bestehen für eine zuwendungsorientierte Pflege ein, so dass auf Psychopharmaka und Fixierung verzichtet werden kann. Regelmäßig konfrontieren wir die zuständigen Personen im Gesundheitsministerium, Abgeordnete, Ärzteverbände und viele andere mit den fürchterlichen Folgen dieser gängigen Praxis in deutschen Heimen. Auf unseren Seiten finden Sie dazu zahlreiche Veröffentlichungen.
Hier beispielhaft einkopiert aus der Mail eines Sohnes, der mit der zunehmenden Demenz seines Vaters zu Hause nicht mehr klar kam und diesen in ein Heim gab. Er hatte sich mehrere Heime angeschaut und schließlich auf die Aussage einer Heimleiterin vertraut, die ihm zugesichtert hatte, dass die Einrichtung auf Demenzkranke spezialisiert sei und das Personal wisse, mit den Verhaltensmerkmalen die der Vater zeigt umzugehen. Es dauerte jedoch nur wenige Tage, da bat die Heimleiterin den Sohn/Bevollmächtigten um ein Gespräch, mit dem Ziel dessen Einwilligung in eine medikamentöse Anpassung zu erhalten. Der Vater würde tagsüber und auch nachts herumlaufen und mit seiner lauten Stimme die anderen Bewohner verängstigen. So könne man ihn nicht da behalten. Schließlich willigte der Sohn ein, dass eine Ärztin mit der die Einrichtung diesbezüglich zusammenarbeitet, sich des Problems annimmt.
…. Ab dem 1. 12.2016 wurden ihm täglich 2 Risperidon 0,5 mg und 6 Melperon 25mg verabreicht. Mein Vater baute von Tag zu Tag ab, war nur noch schläfrig, verwirrt und hatte Angstzustände. Der sonst aktive Mensch schaffte es nicht einmal mehr bis zum Raucherzimmer, was sonst für ihn von größter Bedeutung war.
Die Heimleiterin erklärte auf Nachfrage, der Zustand sei Anfangs völlig normal und würde sich bald bessern.
Es kam zu mehreren Stürzen, welche Prellungen und blaue Flecken verursachten. Ferner zog er sich bei einem Sturz eine Kopfverletzung zu, die im Krankenhaus behandelt werden musste.
Am 13. Jan. bekam ich einen Anruf vom Pflegeheim, mit der Mitteilung, dass mein Vater ins HSK verbracht würde, er habe angeblich versucht sich umzubringen.
Die Ärzte im Krankenhaus stellten eine Überdosierung fest und setzen das Risperidon und Melperon ab. Daraufhin besserte sich der Zustand meine Vaters zusehends.
Am 19. Januar kam er dann wieder zurüch ins Heim. Der Arztbericht vom HSK mit der neuen Medikation wurde mir ausgehändigt.
Einen Tag später wurde mir vom Heim ausgerichtet, dass mein Vater nicht führbar sei und erneut Risperidon und Melperon in der vorherigen Dosierung bekäme. Veranlasst durch Frau U, die Ärztin, die diese nach telefonischer Rücksprache angeordnet habe.
Mein Protest sowie alle Versuche die Medikation zu unterbinden waren erfolglos.Nun nahm ich Kontakt zum Stationsarzt im HSK auf, der die Mittel abgesetzt hatte. Dr. B. war außer sich als er das hörte. Ich bat den Arzt um ein Telefonat mit der Heimärztin.
Nach diesem Telefonat wurde das Risperidon abgesetzt und das Melperon von 6 auf 3 Tabletten reduziert.
Warum durch diese Ärztin per Telefondiagnose exakt die gleiche Medikation verordnet wurde, deren Absetzen im Krankenhaus zur Verbesserung geführt hat, bleibt zu klären.
Insgesamt wurden meinem Vater, vom 28.11.2016 bis zu 30.01.2017 folgende Medikamente verordnet:500 Stück Melperon 25 mg
200 Stück Risperidon 0,5 mg
200 Stück Quetiapin 300 mgDie verordnete Menge und der Medikamentenplan stehen in einem starken Widerspruch. Ich habe den Bedarf laut Medikamentenplan erfasst und komme auf völlig andere Zahlen.
Für mich sehr beuruhigend, wie leichtfertig mit diesen Medikamenten umgegangen wird.
Das starke Sedieren hat meinem Vater Leid und gesundheitliche Probleme zugefügt.
Ein Zusammenspielen zwischen Heim und medizinischer Ambulanz ist erkennbar.Als nächsten Schritt hat die Heimleiterin eine Höherstufung /Neubegutachtung meines Vaters gefordert, da er in seinem jetzigen Zustand mehr Arbeit verursache.
Meinem Vater wurde der Heimplatz am 28.03.2017 gekündigt. Die Kündigung wurde mir abends zwischen 18:00 und 19:00 Uhr per DHL Express zugestellt, während ich meinen Vater im Heim besuchte. Es gab keine Vorgespräche oder Hinweise auf eine Kündigung, jedoch gab das Heim mir eine großzügig bemessene Frist bis zum 31.03.2017, um den Heimplatz zu räumen.
Wer sich nicht fügt, wird vor die Tür gesetzt. Es gab keinerlei Hilfe bei der Suche nach einem anderen Heimplatz für meinen dementen Vater.
Unfassbar, wie hier mit Menschen, ob Personal oder Bewohner, umgegangen wird.
Zum Glück konnte der Sohn rasch einen neuen Pflegeplatz für den Vater finden. Dort hält man sich bisher an die Zusage, maximal 3 Tabl. Melperon zu geben. „Sie können sich nicht vorstellen, welche Mühe ich hatte, meinen Vater dazu zu bringen aus dem Auto aus zu steigen und mit mir in das Heim zu gehen. Der war so voller Angst, dass er sich an der Tür meines Autos festgeklammert hat und ich ihm gefühlt 20 Minuten zureden musste, bis er loslassen konnte.“, schilderte der Sohn den Angstzustand seines Vaters, den die Medikation wohl beim ihm ausgelöst hatte.
Das Foto zu diesem Beitrag machte der Sohn an Ostern. Er beschreibt die aktuelle Situation wie folgt:
Ich habe gestern Fotos von meinem Vater gemacht, die einen Menschen zeigen, der langsam zurück ins Leben kommt.
Das starke Sedieren, in Verbindung mit den vielen Stürzen, hat jedoch deutliche Spuren hinterlassen.
Im Pflegeheim Birkenhof, wo mein Vater jetzt lebt, wird er herzlich und menschlich betreut. Ganz anders als im letzten Heim, wo nach außen eine schöne und heile Welt vorgegaukelt wird, der Blick hinter die Kulissen jedoch etwas total anders zeigt und von der Heimleitung auch nicht geduldet wird.
Was diese Medikamente anrichten und warum der Pflege-SHV fordert, Neuroleptika in den Giftschrank zu sperren, können sie u.a. in diesem Beitrag nachlesen.
LESERBRIEF von Dagmar Schön (Rechtsanwältin aus München, die als Bevollmächtige ihrer pflegebedürftigen Mutter ähnliches erlebt hatte und feststellen musste, dass Staatsanwälte in solchen Fällen keinen Ermittlungsbedarf sehen.)
Wieviele Berichte und Bücher müssen über die Massenstraftaten an dementen Menschen in Heimen noch erscheinen, bis Staatsanwälte endlich einmal Ermittlungen aufnehmen und Politiker Maßnahmen ergreifen, damit sich die Zustände in den Heimen ändern müssen?
Neuroleptika werden ca. 50 % der Dementen in Heimen, somit ca. 250.000 Menschen in Deutschland verabreicht. Diese Medikamente sind nicht nur eine chemische Fixierung und damit Maßnahmen einer Freiheitsberaubung, sondern erhöhen unstreitig auch das Mortalitätsrisiko der Betroffenen. Damit tut man alles, aktiv (die Verantwortlichen in den Heimen) oder durch Unterlassen (die zuständigen Politiker), damit diese Menschen schneller „das Zeitliche segnen“ und dadurch weniger Kosten und Mühe verursachen. Juristisch bedeutet dies weniger poetisch formuliert: Körperverletzungen mit Todesfolge oder Totschlag mit bedingtem Vorsatz. 250.000 Mal täglich. In unserem Rechtsstaat.
Aufgrund des Offizialprinzips in unserem Strafrecht müssen Staatsanwälte ermitteln, wenn sie von Straftaten erfahren – und sei es aus der Zeitung. “ Die Strafverfolgungsbehörden sind berechtigt, aber auch verpflichtet, von sich aus den Sachverhalt zu erforschen und alle unaufschiebbaren Ermittlungshandlungen vorzunehmen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten (§ 163 StPO).“ hier: http://justiz.hamburg.de/ablauf-des-ermittlungsverfahrens/
Bei Steuerverkürzungssachverhalten, d. h. wenn der Staat durch die Ermittlungen auf Einnahmen hoffen kann, werden Staatsanwälte auch tatsächlich tätig. Berichte über die Massenstraftaten in Alten- und Pflegeheimen haben noch nie auch nur einen einzigen Staatsanwalt in Gang gesetzt.
Was das bedeutet, erkennt man, wenn man sich vorstellt, dass über Kinderheime aus Berichten und Untersuchungen bekannt würde, dass in allen Kinderheimen die Hälfte der Kinder von den Aufsichtspersonen sexuell missbraucht würden. Der Aufschrei wäre – zu recht – sehr groß und alle Justizminister würden ihre Staatsanwälte anweisen, Ermittlungen in den Kinderheimen aufzunehmen. Die heute Dementen waren auch einmal Kinder, nicht nur das, sie sind durch ihre Krankheit Kindern sogar wieder ähnlich geworden. Vor allem in ihrer Hilflosigkeit. Jedoch: Niemand kommt ihnen zu Hilfe.
Dass das Martyrium der Dementen seit Jahren tagtäglich ungehindert weiter gehen kann, zeigt, wie ernst Deutschland sein Grundgesetz nimmt. Von den christlichen Werten, der hiesigen Leitkultur, die zur Zeit angeblich nur vom Islam bedroht wird, ganz zu schweigen.
Zur Erinnerung: Es handelt sich bei den heute Dementen um die Generation, die Deutschland nach 1945 wieder aufgebaut und erfolgreich gemacht hat. Unsere Eltern oder Großeltern, die ihre Kindheit und Jugend zum Teil in Schutzbunkern verbringen mussten und bis zum heutigen Tag keine Hilfe bekommen, ihre traumatischen Erlebnisse während Gewaltherrschaft und Krieg zu verarbeiten. Heute werden diese MitbürgerInnen aus Kostengründen in Heimen untergebracht. Und wer diesem neuerlichen Diktat zu enfliehen versucht, wird ruhig gestellt. Lebenslängliche Sicherungsverwahrung auf Krankenschein und mit Billigung einer Gesellschaft die sich an den Jungen und Leistungsstarken orientiert und die Alten und Schwachen am liebsten aussortieren würde.
Politiker und Ärzte die meinen, es gebe aus kostengründen keine Alternative zum Einsatz von Psychopillen, sei dieser Beitrag empfohlen.
Genauso war es bei meiner Mutter.Sie kam als leicht demente alte Dame ins Heim und wurde fast zu Tode gepflegt. Sie war verwirrt und die neue Umgebung machte ihr Angst. Sie lief Nachts umher und lief auch mehrmals weg. Dann wurde sie mittels Risperidon, Melperon, Dominal, Remeron, Zopiclon usw. ruhiggestellt. Ohne mein Wissen! Erst als sie mehrmals schwer stürzte wurde ich aufmerksam und ließ mir den Medikamentenplan geben. Ich war schockiert und wütend wie mit hilflosen alten Menschen umgegangen wird. Ich habe mir mal die Mühe gemacht und ausgerechnet wieviel Risperidontabl. meine Mutter eingeflösst wurden. Es waren über 1000 Stück in 1,5 Jahren, ohne all die anderen Dreckspillen. Habe sie 2015 aus dem Heim geholt.
Immerhin hattest du Namen der legalen Psychodrogen im Medikamentenplan gefunden. Andere haben nur die Möglichkeit mittels selbst finanzierter Blutproben herauszufinden, ob Bewohner schleichend vergiftet werden. Möglich wird das immer dort, wo Medikamente, die für Bewohner die nicht mehr im Heim wohnen (ausgezogen oder verstorben) an das Heim geliefert wurden, im Heim verbleiben und quasi unkontrollierbar störenden Bewohnern verabreicht werden können.
Menschen die an Demenz erkranken waren schon immer die Verlierer in der Gesellschaft.
Einen an Demenz erkrankten Menschen kann man nicht mit der Stoppuhr pflegen.
Ziel ist es Ressourcen erhalten und fördern. Das braucht Einfühlungsvermögen,
Liebe und Zeit.