Das Gedächtnis des Körpers

Joachim Bauer, Das Gedächtsnis des Körper, allgemein verständlich geschriebenes Sachbuch. Von  der  Süddeutschen  Zeitung u. vom NDR auf die Top-Ten-Bestenliste gesetzt.

Sind es nur die Gene, die unser Wesen unveränderbar bestimmen? Welche Rolle spielen Erfahrungen und Erlebnisse bei der Steuerung unserer Lebensprozesse? Diese Frage bewegt nicht nur seit Jahrhunderten Philosophen, Soziologen und Psychologen – das Wechselspiel zwischen Erbanlagen und Lebensumständen ist auch eines der großen Forschungsfelder der modernen Medizin.

Neueste Forschungen der Neurowissenschaften belegen: Wir können zwar unsere genetische Grundausstattung nicht verändern, aber die Aktivität der Gene. Denn Gene steuern nicht nur, sie werden auch gesteuert – durch zwischenmenschliche Beziehungen, Umwelteinflüsse, individuelle Erfahrungen.

„Geistige Tätigkeit, aber auch Gefühle und Erlebnisse in zwischenmenschlichen Beziehungen haben im Gehirn biologische Veränderungen zur Folge, über die wir bis ins Detail hinein inzwischen einiges wissen. Hätten wir die Möglichkeit, einmal im Jahr eine Reise in unser Gehirn zu machen und uns dort mit einem Elektronenmikroskop umzusehen, würden wir jedes Mal erheblich veränderte ‚Landschaften‘ entdecken. Der Grund dafür ist, dass Ereignisse, Erlebnisse und Lebensstile die Aktivitäten von Genen steuern und im Gehirn Strukturen verändern. ….

Alles, was wir lernen, erfahren und erleben, vollzieht sich im Zusammenhang mit zwischenmenschlichen Beziehungen.“, soweit die einleitenden Worte des Autors im ersten Kapitel. Wie dies geschieht, davon handelt im wesentlichen dieses Buch. Dabei bezieht er sich auf zahlreiche neuere Forschungsergebnisse: „In den USA weisen herausragende Vertreter der neurobiologischen Spitzenforschung wie der Nobelpreisträger Eric Kandel darauf hin, dass die neuen Entdeckungen über die Verbindung zwischen „mind“ (Geist) und „brain“ (Gehirn) ein Umdenken in der Medizin erfordert. Da alles was wir geistig tun, seelisch fühlen und in Beziehung gestalten, seinen Niederschlag im körperlichen Strukturen findet, macht, wie es Thure von Uexküll auszudrücken pflegt, eine Medizin für „Körper ohne Seele“ ebenso wenig Sinn wie eine Psychologie für „Seelen ohne Körper“.

Interessant an dieser Stelle vielleicht ein Vergleich mit einem Konzertflügel und der Musik (s.Untertitel Kap.1), den ich zur Veranschaulichung in meinen Worten ausschmücken will: Vergleicht man die verschiedenen Gene mit unterschiedlichen Musikinstrumenten und das Gehirn mit einem kompletten Orchester, so hätte man noch nur das Instrumentarium aufgezählt, mit dem Musik gemacht werden kann. Welche Musik gespielt wird, hängt hingegen vom „mind“ (Geist) der betreffenden Person ab, genauer gesagt von den Anlagen die diese mitbringt sowie den Fähigkeiten die sie im Laufe des Lebens erwirbt. Letzteres hängt nun entscheidend davon ab, in welchem Umfeld die Person aufwächst, welche Erfahrungen sie in der Auseinandersetzung mit ihren Mitmenschen macht und was sie daraus lernt. Instrumente die nicht regelmäßig oder in der ihnen gemäßen Weise genutzt werden, bringen irgendwann nur noch Misstöne hervor oder verfallen gar. Wie harmonisch das Zusammenspiel innerhalb des Gesamtorchesters ist, hängt in erster Linie von der Person (der Summe und dem Zusammenwirken der seelisch-geistigen Eigenschaften des betreffenden Menschen) ab. Doch ist die Person nicht nur Komponist, Dirigent und Musiker des eigenen Orchesters. Zugleich ist sie immer auch Teil eines anderen Orchesters in dem nicht sie alleine den Ton angeben kann, sondern mit zahlreichen anderen versuchen muss, ein möglichst harmonisches Zusammenleben zu gestalten. Man könnte hier auch von einem sozialen Organismus (Orchester) sprechen, der sich aus der Summe und den Eigenschaften zahlreicher Individuen zusammensetzt, wobei sich ein jedes nach seinem Vermögen einbringt. Wie die Körperzelle auf Gedeih und Verderb mit dem Körper verbunden ist, der sie mit Nahrung versorgt, so sind geistige Zellen (z.B. das Individuum Mensch) auf Gedeih und Verderb mit der sozialen Umwelt verbunden. Unsere heutige Medizin interessiert sich nur für das Instrument, definiert den Musiker als Produkt des Instrumentes, dass ihn hervorbringt und wieder zugrunde richtet.

Aber so langsam bröckelt dieses wissenschaftliche Lehrgebäude, bemühen sich immer mehr Wissenschaftler das auf die Materie begrenzte Sichtfeld zu erweitern.

Kommentar Adelheid von Stösser  2003

 

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