Demenz-Risiko: Krebstherapie

Krebsleiden sind  im Alter verhältnismäßig selten und oft weniger aggressiv, wird allgemein behauptet. Das liegt vielleicht auch daran, dass ein  Krebsbefund bei der oft multimorbiden Gesundheitslage alter Menschen leicht übersehen wird. Zum Glück für die Betroffenenen, denen weitere Qualen erspart bleiben, weil  dann niemand auf die Idee kommen kann,  zu all dem anderen auch noch Chemotherapie einzusetzen.

Einige Ärzte mögen betagte Patienten mit einer Krebsdiagnose von einer Operation, Chemotherapie oder Bestrahlung abraten, andere sehen sich hingegen verpflichtet, nichts unversucht zu lassen.  In jedem Falle verursacht  die Mitteilung der Diagnose Krebs großen Stress, denn sie verlangt von dem noch klar denkenden Patienten, eine Entscheidung zu treffen, die er nicht absehen kann.  Je nachdem wie viel Lebenszeit der Arzt  einräumt, bei Nichtbehandlung im Vergleich zur Behandlung.  Eine der am häufigsten behandelte Krebserkrankung ist das Prostatakarzinom.  Etwa zwei Drittel der Patienten auf urologischen Abteilungen sind ältere Männer, vor oder nach Prostektomie (operativer Entfernung der Prostata).  Dieser Eingriff scheint in der Medizin alternativlos, wobei die Risiken wie Harninkontinenz und Impotenz einschließlich der negativen  Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl in Kauf genommen werden.  Nicht selten dürfte damit der Grundstein für Demenz gelegt werden.   Besonders gefährdet erscheinen Männern die vorher schon Probleme hatten, die nachlassenden Kräfte im Alter zu akzeptieren.   Frauen stellen beispielsweise fest:  „Die Operation ist problemlos verlaufen, aber mein Mann ist seitdem verändert. Er kommt mir vor wie um 10 Jahre gealtert. Zu nichts hat er Lust. Ich muss ihn regelrecht aufscheuchen, aus seinem Sessel, damit er mal vor die Tür geht. Unser Arzt hat ihm etwas gegen die Depression verschrieben, aber das hat bisher noch nichts gebracht.“

Weder vor der Operation noch nachher sind psychologische Hilfestellungen vorgesehen.  Die medizinische Behandlung konzentiert sich einzig auf den Körper.  Ähnliches kann durchgehend bei der chirurgischen Behandlung alter  Menschen gesagt werden.  Weder in der Vorbereitung noch nach Eingriffen erhalten Patienten die notwendige Unterstützung  Risiken und Nutzen abzuwägen. Vielmehr sehen sie sich bedrängt, der vom Arzt empfohlene Behandlung zuzustimmen.

Beispiel 2008 -Angehörige – 94 Jahre – Privatpatientin – Hannover:  „Der Professor  hat mir geraten,  den Knoten  am Hals wegmachen zu lassen, weil die Gefahr bestehe, dass er irgendwann auf die Luft drückt.  Ich hab den ja schon länger und weiß auch, dass er bösartig ist. Aber bisher merke ich nichts.“, erklärte uns die rüstige „Omama“.  Also ließ sie sich operieren und fuhr auch anschließend noch selbstbestimmt per Taxi zur Bestrahlung in die Onkologie. Das war eindeutig zu viel. Die Wunde platzte auf, suppte und eiterte, was zur Schwellung  im Rachenraum führte.  Etwa drei Wochen nach dem Eingriff stellten sich Schluckstörungen ein. Das Sprechen und Atmen fiel ihr schwer. Trotz Sondenkost war sie nach 6 Wochen so kraftlos, dass sie nicht mehr alleine aus dem Bett konnte. Sie brauchte rund um die Uhr Pflege und medizinische Versorgung. Auch geistig hatte „Omama“ total abgebaut.  Etwa 8 Wochen nach der Op verstarb sie an den Folgen dieses Eingriffes.

Einer der Gründe für den hohen medizinischen Einsatz am Lebensende ist die Angst vor dem Tod. 

Mal ist es ein Angehöriger der den Kranken hierzuhalten versucht.  Ein anderes Mal der alte Mensch selbst, der jede medizinische Lebensverlängerung nutzen möchte.   Auch unter den Ärzten gibt es solche, die sich ungeachtet des Alters und Gesundheitszustands der Lebenserhaltung verpflichtet sehen und sich schwer tun, den Wunsch des Kranken auf Unterlassung von Maßnahmen  zu akzeptieren.  Umgekehrte Fälle haben wir auch erlebt, dass Ärzte   pflegebedürftigen, alten Menschen die gewünschte Behandlung regelrecht verweigern.

Auch alte Menschen hängen am Leben.  Vor allem wenn sie ohne nennenswerte Gebrechen alt geworden sind und sich sozial integriert fühlen.  Dazu ein Beispiel aus der eigenen Familie (2015/16):

Mein Vater hat bis zu seinem 86 Lebensjahr überhaupt kein Medikament eingenommen und  keinen Arzt gebraucht. Er war so fit, dass alle dachten, der wird locker die 90 erreichen.  Dann klappte er zusammen, wurde mit Vorhofflimmern und anderen bedrohlichen Symptomen ins Krankenhaus gebracht. Nach zwei Wochen war er wieder zu Hause, ohne dass die Ärzte den Grund für diese Krise gefunden hatten.  Vier  Medikamente sollte er nehmen, was er auch tat.  Er fühlte sich körperlich angeschlagen, spürte das etwas nicht stimmte.  Wenige Monate später klappte er erneut zusammen. Schüttelfrost, hohes Fieber, Wassereinlagerung, Husten und extreme Schwäche waren die Hauptsymptomen. Lungenentzündung hieß die Diagnose. Kaum hatte er sich zu Hause einigermaßen erholt, musste er erneut ins Krankenhaus.  Nach umfangreichen Untersuchungen wurde im Juli 2015 Lympfknotenkrebs als Ursache festgestellt.  Während er schon dabei war, sich darauf einzustellen, dass diese „heimtückische Krankheit“ sein Ende einleutet, setzte ihm der Onkologe des Krankenhauses den Floh ins Ohr, dass diese Krebsart (M.Hodgking) auch im fortgeschrittenen Zustand gut auf Chemotherapie anspreche. Er sei für sein Alter erstaunlich fit und habe keine Vorerkrankungen.  Außerdem würde man mit einer leichten Dosierung beginnen, die wenig Nebenwirkungen habe.   Diese in Aussicht gestellte Heilungschance konnte er dann doch nicht unversucht lassen.  Der erste Zyclus umfasste  4  ambulante Behandlungen. Da er diese gut vertrug und die Hoffnung wuchs, den Krebs besiegen zu können, schmiedete er bereits wieder Pläne.  Jedoch die Freude währte nicht lange.  Die Krankheit meldete sich in verstärkter Form zurück.  Als mein Vater nach Ostern (2016) aus dem Krankenhaus kam, war klar, wo die Reise hingeht.  Da die Ärzte mit ihrer Kunst am Ende waren, nahm er  das Heft wieder selbst in die Hand.  Ausdrücklich erklärte er, dass – egal was kommt – kein Arzt gerufen wird und er nicht ins Krankenhaus gebracht wird.  Das Herzmittel und Magenmittel sowie  die Cortinsontablette, setzte er sofort ab. Später auch das Diureticum, denn da er nicht soviel trinken konnte, wie er ausgeschieden hat und die Wassereinlagerung in den Beinen trotzdem zunahm, erschien  die Wirkung paradox.  So lange er sich im Stande fühlte, stand er jeden Morgen auf, rasierte und wusch sich selbst, zog frische Sachen an und verbrachte den Tag mit Unterstützung meiner Mutter, Geschwister und mir in der Wohnküche oder im Wohnzimmer.  Wie ein schwerkranker, sterbender Mann sah er nicht aus. So verhielt er sich auch nicht.  Vielmehr freute er sich über die vielen Besuche und nutzte jede Gelegenheit uns Geschichten aus seinem Leben mitzuteilen.  „Schade, dass ich mir nie die Zeit genommen habe, alles aufzuschreiben.“, bedauerte er oft, gefolgt von der Feststellung:   „Alles in allem hatte ich ein schönes Leben.  Die beste Frau die man sich wünschen kann.  Kinder und Enkel auf die ich stolz sein kann. … Der Herrgott hat mich vor schweren Schicksalsschlägen bewahrt, jetzt will ich hier auch nicht herumzetern, weil diese Zeit  zu Ende geht.“, so seine Haltung.   Erst an den letzten zwei Tagen vor seinem Tod fehlte ihm die Kraft um sein Bett zu verlassen. Bis zum letzten Atemzug, am 3.Mai, war er geistig klar. Er wollte seinen „Heimgang“ bewusst erleben, nicht betäubt oder verwirrt im Jenseins ankommen.   Das war ihm wichtig und darin haben wir ihn unterstützt.

 

 

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